Ansprache zur Eröffnung der Werkschau/Vernissage von Maximilian (Max) Müller aus Umkirch im Rathaus der Gemeinde am 20. Januar 2016
Dr. Ulrich Stößel
Sehr geehrter Herr Bürgermeister, lieber Walter,
lieber Herr Kobayashi,
liebe hoffentlich neugierige und kunstinteressierte Gäste.
Ich weiß nicht, ob ich es Ihr Glück oder Pech nennen darf, dass Sie heute gleich mehrfach Zeuge von Premieren werden.
Zum einen ist es der Künstler Max Müller selbst, der schon über vierzig Jahre in unserer Gemeinde lebt und neben und vor allem nach seiner Berufstätigkeit kunstschaffend wirkt, ohne dass dies von einer größeren Öffentlichkeit bisher wahrgenommen werden konnte. Dass er heute mit einer verständlichen inneren Angespanntheit zur Eröffnung seiner Werkschau und Ausstellung in diesem schönen Ambiente eingeladen hat und damit den drängenden Bitten zahlreicher Freunde und Bekannten nachgegeben hat, ist eine der Premieren.
Eine weitere könnte sein, dass sich zumindest seine neueren Werke einer Kunstrichtung zuordnen lassen, die meines Wissens in den Räumen dieses Rathauses bisher noch nicht so explizit vertreten war. Die Rede ist von der sogenannten konkreten Kunst, die ich später noch etwas genauer verorten helfen will.
Und für eine weitere Premiere bin ich wohl selbst ein bisschen mitverantwortlich. Denn dass ich jetzt hier stehe und versuchen soll, Sie und Euch in das Oeuvre von Max Müller einzuführen, entlarvt mich als einen der Drängler, die Max Müller seit Jahren beknien, doch auch einmal sein Werk der Umkircher Öffentlichkeit vorzustellen. Hätte ich gewusst, dass er mir im Gegenzug auf freundlich-subtile Art und Weise zur Bedingung gemacht hätte, seine Vernissage mit Einführungsworten zu eröffnen, hätte ich vielleicht nicht so gedrängelt. Ich gebe zu: Ich habe noch nie eine Vernissage eröffnet und weiß auch nicht, ob ich je wieder gefragt werde, es zu tun.
Lassen Sie sich also auf das Wagnis dieser Mehrfachpremiere ein, die allerdings, so meine feste Überzeugung, nicht nur auf sehr gutem künstlerischen Fundament steht, sondern durch niemand geringeren als Maki Kobayashi einen stimmungsvollen musikalischen Rahmen erhält. Wir kennen ihn nicht nur als erfolgreichen Dirigenten des gemischten Umkircher Chores, sondern auch und vor allem als begnadeten Pianisten, der es sich nicht hat nehmen lassen, in diese Vernissage musikalisch auf dem schönen Cembalo und einem E-Piano einzustimmen.
Solche Wahlverwandtschaften von Musik und Malerei sind nicht selten. Wer mehr davon studieren will, hätte aktuell die Möglichkeit, ins Schwabenland nach Stuttgart zu reisen, um dort die Ausstellung „I got Rhythm – Kunst und Jazz seit 1920“ zu besuchen. Man würde dann z.B. eines mit konkreter Kunst von Verena Loewensberg 1956 gestaltetes Cover einer guten alten Schallplatte des nicht ganz unbekannten Jazzmusikers Klaus Doldinger bestaunen. Und man könnte dort so musikkennerische Kommentare wie den des berühmten Malers und Kunstschaffenden Max Beckmann lesen: „Ich liebe den Jazz so, besonders wegen der Kuhglocken und der Autohupe. Das ist eine vernünftige Musik“.
Lieber Herr Kobayashi, mir scheint, da sind Sie bei dieser Ausstellung hier im Badischen doch deutlich besser aufgehoben. Denn der auch Musikliebhaber Max Müller hat Sie ganz gewiss aus einer anderen musikalischen Grundhaltung zu seiner Vernissage eingeladen. Und wenn Sie noch jemanden brauchen, der einmal Ihre CD-Cover gestaltet, denken Sie an Max Müller.
Unser Bürgermeister wird zurecht bei Ausstellungsanlässen wie heute nicht müde, in seiner Begrüßung mit berechtigtem Stolz die offenen Flächen im Foyer und in den Fluren unseres Rathauses als ausgesprochen einladende Ausstellungs- und Projektionsflächen für Kunstschaffende vor allem aus Umkirch bereitzustellen. Dies trägt ganz sicher mit dazu bei, dass die Kunstrichtung der Malerei auf diese Weise einen identitätsstiftenden Beitrag zum Kulturleben unserer Gemeinde leisten kann.
Die heute eröffnete Ausstellung hat vom Künstler den Titel ‚Kunstausstellung‘ bzw. bescheidener Werkschau bekommen. Erst im Untertitel wird man gewahr, dass es um konkrete, aber auch abstrakte Kunst, Aquarelle, Zeichnungen und Skulpturen geht. Fürwahr eine nicht unbedeutende Bandbreite.
Weniger bewertend als sich selbst in seinem Schaffen einer Kunstrichtung zuordnend versteht Max Müller vor allem seine späteren Arbeiten als konkrete Kunst. Vielleicht ist es am einfachsten, sich den Unterschied zur abstrakten Kunst an einem Zitat aus der Zeitschrift Kunst Material vom Juli 2015 verstehbar zu machen:
„Der Begriff der abstrakten Kunst wird häufig auf alle Werke angewendet, auf denen kein Gegenstand ersichtlich ist, doch hat sich die abstrakte Kunst aus dem Gegenstand entwickelt und diesen immer stärker abstrahiert, bis aus den Gegenständen Zeichen geworden sind, Linien und Flächen, die sich keiner geometrischen Gesetzmäßigkeit fügen. Bei der gegenstandslosen Kunst hingegen spielen die geometrischen Formen eine große Rolle. Sie wird auch konkrete Kunst genannt. Hierfür lieferte Theo von Doesburg (1883-1931) vor bald 100 Jahren die abgrenzende Definition: ‚Konkrete Malerei also, keine abstrakte, weil nichts konkreter, nichts wirklicher ist als eine Linie, eine Farbe, eine Fläche‘ “.
Was wir aus diesem zitierten Mini-Exkurs mitnehmen können: Konkrete Kunst ist in der Malerei die Kunst, die ohne äußerliche Anlehnung an Naturerscheinungen, auch nicht durch Abstraktion, entstanden ist. Zu allen weiteren kunstgeschichtlichen Exkursen fühle ich mich persönlich allerdings nicht berufen und verweise auf die einschlägige Literatur.
Dieser Stilrichtung hat sich unser Künstler Maximilian Müller im Schwerpunkt seiner heutigen Ausstellung gewidmet, wie es vor allem in den Exponaten hier auf der Foyer-Ebene erkennbar wird.
Doch bevor er sich dieser neuen Stilrichtung als Herausforderung stellte und warum Max Müller nicht auf diese Stilrichtung reduziert werden sollte, erschließt sich nur, wenn wir ein klein wenig von seiner Biographie preisgeben, um auch sein frühes Schaffen einzufangen.
1938 im schönen Würzburg, also in Franken geboren, machte er nach dem Ende der Schulzeit eine Schreinerlehre, die er in so jungen Jahren mit der Meisterprüfung abschloss, dass ihm sein Ausbilder nahelegte, sein unverkennbares Talent doch mit einem Studium der Architektur aufzuwerten, da er als Meister noch zu jung war, selber Lehrlinge ausbilden zu dürfen. Er übersiedelte nach Hildesheim und absolvierte dort erfolgreich sein Architekturstudium. Dass das Zeichnerische, das Arbeiten mit Linien, geometrischen Formen, aber auch mit Farben auch im Architekturstudium seinen Platz hatte, liegt auf der Hand.
Der Antritt seiner ersten Dienststelle in einem Architekturbüro führte ihn aus Deutschlands Norden wieder in eine ganz andere Gegend, nämlich in den Südwesten nach Freiburg, wo er, soviel Detailtreue muss sein, ein Zimmer als Untermieter beim Marktaufseher in der Alten Wache mit Blick auf den Münsterplatz bezog.
Sein Blick von der Südwestecke der Alten Wache auf die Südseite des Münsters hat er folgerichtig in verschiedenen Skizzen festgehalten, wie es eine rund 50 Jahre alte Zeichnung im 2. Stock beweist. (Wer sie sich genauer anschaut: Auch damals war der Münsterturm schon eingerüstet).
Den Großteil seiner Berufstätigkeit als Architekt verbrachte er anschließend in den Diensten der Stadt Freiburg, wo er im technischen Rathaus manches architektonisches Ausrufezeichen setzte (fußläufig gut erreichbar z.B. die architektonisch gelungene Grundschule im Rieselfeld. Für die wiederholten Baustopps im Lycee Turenne ist er allerdings nicht mehr verantwortlich).
Max Müller hat schon neben der Berufstätigkeit in seiner Freizeit immer wieder gemalt oder Skulpturen aus verschiedenen Materialien gestaltet, wovon einige markante und mit filigraner Raffinesse gestaltete Exponate hier auf dieser Ebene Zeugnis ablegen. Auch das Aktzeichnen gehörte in einer bestimmten Schaffensphase dazu, was ihm nach eigener Aussage vom Studium her vertraut war. (Hier sei ein kleiner Einschub gestattet: Als Nicht-Maler bekenne ich mit etwas Neid, dass mir solche Schaffensmomente in meinem Studium nicht vergönnt waren). Sind in dieser Phase noch sehr gut seine Bezüge zur gegenstandsbezogenen Malerei erkennbar – man nehme im 2. Stock seine Bilder vom alten Gutshof und von der Kirche, aber auch seine Landschaftsbilder aus verschiedenen Weltgegenden – so werden dort schon Übergänge zu seinem lustvollen Spiel mit Farben sichtbar.
Sein eigentliches künstlerisches Schaffen intensivierte sich dann vor etwa 15 Jahren mit seiner Pensionierung.
Max Müller suchte nach einer neuen malerischen Herausforderung und fand sie in der gegenstandslosen Malerei, für die der Begriff der konkreten Kunst wie bereits ausgeführt prägend ist.
Seine Künstlerbiographie spiegelt sich also sehr gut auf den zwei Etagen hier im Rathaus wieder. Seine früheren Werke finden sich also eher im 2. Stock, für die Hinwendung zur konkreten Kunst stehen die Werke hier im 1. Stock Pate.
Für diese Stilrichtung spielen Assoziationen mit Räumlichkeit, Linien, Farben, Übergängen von Helligkeit und Dunkelheit, Licht und Bewegung, Nähe und Ferne eine entscheidende Rolle. Die Werke tragen bewusst keine Titel, um die Assoziationen, Deutungen und Sinnempfindungen nicht zu präjudizieren.
Mehr noch: Man sollte sich bei der Betrachtung nicht nur der Wirkung hingeben, sondern auch den Versuch wagen, gewisse Gesetzmäßigkeiten in der Gestaltung aufzuspüren, die den Künstler geleitet haben könnten. Denn auch dies ist ein Wesensmerkmal der konkreten Kunst: Sie setzt eine konkrete Idee des Malers um, die er vorher skizzen- oder schablonenhaft entwickelt hat.
Für diejenigen, die sich für die technische Seite der Herstellung der hier im 1. Stock ausgestellten Exponate der konkreten Kunst interessieren:
Jedes Bild wird zunächst als Entwurf mit farbigen Stiften oder auf farbigem Papier zu Farbkompositionen ausbalanciert und mittels Schablonen, je nach Größe des Bildes, maßstäblich aufgetragen. Die Bildmotive entstehen durch Abdeckungen und Aussparungen. Im nächsten Schritt erfolgt das Aufbringen der Farbe mittels des Airbrush-Verfahrens, quasi mit einem Luftpinsel. Die Farbe wird mittels komprimierter Luft auf die Leinwand aufgesprüht. Mehr sei nicht verraten, denn Sie sollen ja auch noch etwas haben, was Sie den Künstler fragen können. Er hat dafür auch eine kleine Tafel zu Demonstrationszwecken vorbereitet.
Die Ausstellung muss mit einer Einschränkung leben: So schön unser Rathaus dank der im Bestand erhaltenen Architektur ist, es ist primär kein Museum und deshalb mit seiner Ausstellungsfläche begrenzt.
Was Sie hier heute sehen, entspricht nur etwa der Hälfte dessen, was Maximilian Müller in einer Werkschau hätte zeigen können und was ihm manche schlaflose Nacht bereitet hat zu entscheiden, was er denn hier von seinem Gesamtwerk ausstellen soll. Es liegt bei Ihnen, sich mit dem Künstler heute abend im Gespräch zu arrangieren, um der anderen ca. 50% ansichtig werden zu dürfen.
Sie können auch die Brücke nutzen, die Ihnen Max Müller mit seinen beiden Ausstellungskatalogen gebaut hat und die hier auf dem Tisch an der Wand ausliegen: Denn darin finden Sie nicht nur die hier ausgestellten Exponate, sondern auch die nicht ausgestellten.
Und sie finden noch etwas mehr darin, wenn sie genauer durchblättern: Auch seine Frau Renate, den Künsten aufgeschlossen und Max Müller immer eine kritisch-konstruktive Wegbegleiterin seines künstlerischen Schaffens, ist mit zwei Bildern in diesem Katalog vertreten. Wer sie findet und sich zuerst bei mir meldet, darf sich über die Einladung zu einem Glas Wein im Gutshof freuen. (Familienangehörige haben leider keine Gewinnchance).
Ich hatte damit begonnen, den heutigen Abend als Mehrfachpremiere zu bezeichnen. Schließen möchte ich mit einer kurzen Anleihe aus einem extrem empfehlenswerten, weil schnörkellos formulierten Buch, das mir Max Müller für die Vorbereitung des heutigen Abends mit einem Augenzwinkern an die Hand gegeben hat. Es heißt „Gebrauchsanweisung für moderne Kunst“ und ist ein Füllhorn von witzig berichteten Beobachtungen, wie man sie im Kunstmarkt allgemein, aber auch auf Vernissagen beobachten kann.
In einem Kapitel werden ausschnittsweise Aussagen zitiert, wie man sie immer wieder auf Vernissagen als vermeintliche Kunstkritik hören kann:
„Sehr schön“
„Was will uns der Künstler damit sagen“
„Mal was anderes“
„Tolles Catering“
„Billigen Rotwein haben sie jetzt hier“
„Früher war alles besser“
„Das kann ich doch auch“
„Schwierig, aber spannend“
„Die Ausstellung greift die Gegebenheiten des Raums schön auf“
„Wo ist denn der Künstler?“
Ich wünsche mir und Ihnen, dass wir manche solcher Floskeln heute abend draußen vor lassen und uns von den Bildern inspirieren und unsere Sinne ansprechen lassen. Also vielleicht die Bilder nicht durch deutungsvolle Reden zu erschlagen, sondern sie ihre je eigene Wirkung auf uns zu entdecken und sie dann mit dem Künstler oder anderen auszutauschen. Denn wie sagte doch einmal Oscar Wilde:
„Ziel der Kunst ist, einfach eine Stimmung zu erzeugen“.
Und ich füge hinzu: Für die Stimmung sind auch die Besucher verantwortlich.
Und wenn Sie einmal länger bei einem Bild verweilen und sich in Ihnen oder bei Ihrem Partner eine Kaufneigung regt, dann denken Sie an Wilhelm Busch:
Oft trifft man wen, der Bilder malt,
viel seltener wen, der sie bezahlt.
Wessen Interesse an konkreter Kunst heute geweckt wird und der mehr davon außerhalb Umkirchs sehen will, der hat es unterschiedlich weit: Er kann sich im Rathaus in unserer Nachbargemeinde Gottenheim einmal umschauen, wie der dort ansässige Künstler Gerhard Birkhofer die Dienstzimmer im Rathaus mit seinen Werken um eine kreative Komponente bereichert hat oder wie die Galerie „Konkrete Kunst Martin Wörn“ in Sulzburg seit Jahren zu dieser Stilrichtung Exponate ausstellt. Wer es noch weiter weg mag: In Ingolstadt gibt es ein eigenes Museum für ‚Konkrete Kunst‘.
Genug der Rede: Jetzt heißt es: Geniessen sie den heutigen Vernissageabend. Ein herzliches Dankeschön dafür an Max Müller, aber auch an Maki Kobayashi für seine einstimmende musikalische Begleitung.